Der Siegezug des Pferdes konnte nur geschehen, da die meisten Pferde viel zu höflich sind.
Wow. Was für eine Aussage!
Oft habe ich mich gefragt, warum Kühe, besser gesagt Rinder, und auch Esel oder Maultiere eher einen niedrigen Stellenwert in der Menschheit haben. Das hat doch sicher nicht nur mit dem Aussehen zu tun. Und sicher auch nicht nur damit, daß sie Nahrungsmittel waren oder teilweise sind. Sind Pferde ja auch. Also was steckt hinter dieser Aussage? Wie immer ist dies meine ganz persönliche Ansicht und Erfahrung.
Ein bißchen naiv war ich ja schon, als ich mich dafür entschieden habe, Rinder bei mir aufzunehmen. Hatte wenig Erfahrung, außer mit den Milchkühen und Rindern in der Hofgemeinschaft. Mai 2018. Nun waren sie da und wollten erzogen und erwachsen werden. Eine Färse namens Sputnik und der Brauviehochse Deus. Ziemlich gleiches Alter. Schnell hat sich herausgestellt, dass Sputnik ein sehr aufgeweckter , kleiner Wildfang ist. Deus dagegen sehr gemütlich und vorsichtig, auch im Umgang. Für mich hiess es erstmal heraus bekommen, WIE ich in Kontakt gehe und welche Hilfen bzw welche Energie richtig und wichtig ist. Ganz schnell habe ich gemerkt, dass meine Philosophie in der Pferdeausbildung hier zwar genauso greift. Allerdings in einem viel bewussteren Rahmen. Ich habe gelernt, Rinder binden sich sehr eng an IHREN Menschen, wenn sie die Möglichkeit haben. Sie sind Fluchttiere, wie auch Pferde, allerdings gehen sie (ähnlich den Eseln) bei direkter Gefahr (aus ihrer Sicht) für Leib und Leben auf direkte Konfrontation.( Letzten Sommer starb tragischerweise eine Urlauberin auf einer Alm. Durch eine Mutterkuh, die ihr Kalb beschützt hat. So schrecklich der Ausgang der Geschichte auch ist, die Frau hat sich grob fahrlässig mit ihrem kleinen Hund ( dessen Leine an ihrer Hüfte befestigt war) in den Lebensraum der Mutterkuh gewagt, diese hat das einzige gemacht, was aus ihrer Sicht möglich war, um ihr Kalb zu schützen. )
Rinder sind neugierig, lernen gerne unglaublich gut, wenn Mensch keinen Druck macht und sie überlegen lässt, wie sie die an sie gerichtete Aufgabe am leichtesten lösen. Einmal gelernt, positiv abgespeichert und für gut und sicher befunden, wird seltenst in Frage gestellt. Alle Rinder, mit denen ich zu tun habe, haben erstmal von Natur aus eine recht grosse Individualdinstanz. Fühlen sich wohler, wenn es nicht zu dicht ist. (Wer tut das nicht, es sei denn man ist sich sehr vertraut…) Überlegen, wägen ab und entscheiden dann! Im Zweifelsfall für sich. 😉 Das erklärt für mich auch die Angst und Hinweise einiger Menschen wie: Pass auf wenn die gross sind!!! Die Hörner haben sie als Waffen!!!! Die rennen Dich über den Haufen!!!! ( Zitate einer Besucherin bei mir, die einen Mastbetrieb mit Charolais führt.) und noch viel mehr solchen Bullshit! Genau wie bei Pferden ist dies, meiner Erfahrung nach, die letzte Möglichkeit für die Tiere, wenn keinerlei Ausweichmöglichkeit besteht. (in engen Ställen mit viel zu viel Tieren zum Beispiel…)
Sputnik ist wieder auf den Betrieb zurück, da sie zu wild und lustig für die Arbeit mit Klienten ist. Immer viel zu viel mit allem möglichen und vor allem mit sich selber beschäftigt, daher quasi nicht in der Lage, konzentriert und fokussiert bei der Sache zu sein.Jeder Jeck ist halt anders. 😉 Ihr gehts prächtig, sie mischt die gesamte Herde dort mit ihren unkoventionellen Einfällen auf. An ihre Stelle ist m November 2018 Mio gekommen. Auch Braunvieh. Deus und Mio sind Halbbrüder und vier Monate auseinander. Beide haben total verschiedene Charaktere, Mio ist ein unbekümmerter, fröhlicher Draufgänger und Deus eher der Bedächtige, vorsichtige grosse Bruder. Beide erfüllen sehr unterschiedliche Aufgaben in unserer kleinen Welt.
Der wilde Mio ist bei Menschen mit Handicap jeglicher Art ein sehr vorsichtiger und umsichtiger Begleiter. Ja ihr habt richtig gelesen!! Umsichtig und vorsichtig. Er stellt sich absolut auf die Bedürfnisse seines Gegenübers ein, steht zum Beispiel wie eine Statue wenn die kleine A. ( sie hat das Prader WIlli Syndrom) ihn putzt, oder ist sehr vorsichtig, wenn sie ihn führt. Dafür lässt er es dann mit mir so richtig krachen, wir haben beide Spass an wilden Spielen. Deus geht tatsächlich noch einen Schritt weiter. Eine Dame, die in tiefer Trauer durch den Verlust eines geliebten Wesens war, wollte diese Trauer mithilfe meiner Pferde aufarbeiten. Doch da kam ihr just der Ochse in „Quere“. Wie magisch angezogen hat sie sich zu Deus gesetzt, der einfach da lag und wiedergekaut hat. Doch dann ist etwas sehr schönes passiert. Deus hat für fast eine Stunde fast regungslos neben Ihr gelegen, uns zugehört, ab und zu den Kopf in ihren Schoss gelegt und sich kaum bewegt. War einfach da für sie, er hat gemerkt dass es das ist, was gerade gebraucht wird. Erst als sie gedanklich loslassen konnte, hat Deus sich langsam aufgesetzt. Ich war ziemlich sprachlos!
Zeigen diese beiden Beispiele doch, dass soviel mehr in Rindern steckt, wenn man sich nur auf sie einlässt. Ihnen zuhört! Sie respektiert. Hier bei uns sind Ochs und Esel (pardon Muli) und die Pferde absolut gleichgestellt. Dürfen ihre Charaktere entwickeln und ihre eigenen Ideen bei der Arbeit einbringen. Das diese Art der Arbeit mit Pferden sehr erfolgreich und wunderbar ist weiss ich, hilft doch jeder einzelne meiner Herden Mitglieder ganz individuell dem Klienten , da anzuknüpfen wo es benötigt wird. Für mich neu ist die Tatsache, dass meine lieben Ochsen sich mit soviel Motivation und Engagement in diese Arbeit einbringen. Ähnlich verhält es sich mit Moro. Er behütet, beschützt und holt die Menschen ab, da wo er benötigt wird. Wägt ganz genau ab, was gerade gut und wichtig ist.
Warum machen meine Tiere das? Ganz klar, weil ich sie lasse und es ihnen zutraue. Weil jeder, in geschütztem Rahmen ( ja den gebe ich vor) seinen Charakter voll ausleben und entwickeln darf. In jedem von Ihnen stecken ganz besondere Talente. Und die gilt es zu erkennen und zu fördern. Ich lebe sehr eng mit meiner gesamten Herde zusammen, jeder vertraut, liebt und respektiert mich genauso wie ich ihn oder sie. Hier werden keine Unterschiede gemacht. Betrete ich den Lebensraum der Herde, gibt Askia gerne die Führung an mich ab und kann dann auch mal „unseriös“ und lustig sein. Blödelt mit den Wallachen herum. Die Ochsen weichen mir nicht von der Seite, wenn ich zum Beispiel miste oder andere Arbeiten mache.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich mit Zeit nehme. Zeit mit und bei den Tieren. Nur so sitze und beobachte, fühle, mich in die Gemeinschaft durch z.B. Fellkraulen einbringe. (das kann dann auch manchmal in Gruppenkraulen ausarten) , nichts fordere.
Zusätzlich bekommt jeder nach Möglichkeit jeden Tag eine gewisse Zeit alleine mit mir. Wir gehen spazieren, ich reite, longiere, mache Freiarbeit, Langzügel, übe Tricks und all so Zeugs, was demjenigen am meisten Spass macht und gerade wichtig für die Gymnastizierung und den Kopf ist. All dies bringt Stabilität und Sicherheit in die gesamte Herde.
Sie wissen, dass sie sich auf mich verlassen können, ich den geschützten Rahmen vorgebe und bleiben so auch in Krisensituationen gelassen. Das ist es. Darum machen meine Tiere das. Gerne und freiwillig. Helfen dadurch den Menschen wieder in die eigene Kraft zu kommen.
Denn in jedem steckt so unglaublich viel liebenswertes.
In diesem schönen Sinne, lasst es Euch gutgehen