Heute liegt mir ein sensibles Thema am Herzen.
Ich nenne es Kopfkäfig.
Immer wieder treffe ich auf Pferde, die gefangen in diesem sind. Ergeben in stiller Resignation, erlernter Hilflosigkeit; gefangen im Kopfkäfig. Oder aber vermeintlich dominante Pferde, die (wie Nelli) versuchen ihr Leben zu „retten“, indem sie sehr körperlich, aufgeregt und wenig kooperativ mit dem Menschen agieren, auch gefangen im Kopfkäfig.
Diese Zustände treten nicht plötzlich auf, sondern entstehen schleichend und haben viele Vorzeichen….
Diese können unter anderem sein, häufiger Kotabsatz, hoher Muskeltonus bis zu häufigem Gähnen. Auffällige „Bravheit“ gepaart mit wenig Interesse über das was geschieht. Die Pferde „frieren“ ein. Ergeben sich in ihr vermeintlich aussichtsloses Schicksal.
Auf der anderen Seite haben wir Pferde, die infrage stellen, schnappen, rempeln und auf offensive Weise zeigen, dass Ihnen etwas fehlt. Die, wie Nelli, irgendwann bemerkt haben WIE stark sie sind und dies gezielt und gefährlich gegen Menschen einsetzen.
Jedes Pferd hat einen ganz eigenen Charakter, es gibt wie bei uns Menschen die Introvertierten, die Mutigen, die Angsthasen, die „Mitläufer“ und nicht in Frage Steller, die Ranghohen und Rangniedrigen. (Liste beliebig erweiterbar)
Dann kommt der Mensch ins Spiel, will erziehen. Oft dominieren. Ausbilden. Agiert oft sehr unverständlich für die Pferde. Achtet wenig auf deren Bedürfnisse. Und vielleicht auch auf seine eigenen. Weil vielleicht Geld im Spiel ist, viel Geld! Das machts für die Pferde natürlich nicht besser! Oder Mensch ganz einfach kein Bewusstsein für sein Gegenüber hat, manchmal noch nicht mal für sich selbst.
Im folgenden habe ich einmal ein paar Beispiele Fälle aus meinem Alltag festgehalten, um zu zeigen, WIE verschieden die Bedürfnisse sind. Es gibt nicht die eine Methode, um Probleme zu lösen, und/ oder Pferde auszubilden. Was für den einen funktioniert, lässt den anderen zerbrechen oder renitent werden.
Die meisten Probleme, ob nun wissentlich und willentlich.
Oder in bester Absicht und unwissentlich.
Sind vom Menschenhand hausgemacht! Das klingt jetzt bitter, ist aber leider Realität. Die gute Nachricht ist: Es ist nie zu spät! Umdenken, über den Tellerrand schauen, auf das eigene Bauchgefühl hören (oft wird dies leider ignoriert), hinterfragen, kritisch bleiben, eine positive Einstellung und einen Trainer suchen, der zu beiden passt. Der erfahren ist, eine fundierte Ausbildung hat, kompetent handelt und empathisch gegenüber Mensch und Tier agiert!
Egal in welcher sogenannten Reitweise!
Beispiel Eins:
Dreijähriges Sportpferd. Aufgezogen in Hengstherde. Möglichst noch in entlegenen Gegenden. (je nach Zucht auf Marschwiesen, Alm oä. ) Soll angearbeitet werden, zeigt sich wenig kooperativ, dafür sehr schnell in seinen Reaktionen und stellt infrage. Tritt und wird gezielt körperlich. Ergo wird dieses Pferd als schwierig und dominant klassifiziert.
Andersherum betrachtet: Mit knapp einem halben Jahr abgesetzt, in einen Waisenkindergarten gesteckt, ohne Führung durch ein erfahrenes Alttier, „Sich selbst überlassen“, Natürlich entwickelt dieser Jungspund Strategien um zu „überleben“ Je nach Veranlagung und Rang stellt er/sie natürlich den Menschen, der dann in sein Leben tritt, infrage!
Diese Pferde müssen viel zu früh, viel zu viel Verantwortung für sich übernehmen, der sie niemals gewachsen sind. Und die sie natürlich prägen. Somit MÜSSEN sie aus ihrer Sicht den Menschen erstmal infrage stellen. (und nein, man kann nicht alles auf die „Abstammung“ schieben…) So ein Pferd braucht aus meiner Sicht, kurze klare Aufgaben, ruhiger Art, da er von sich aus eher auf „Krawall“ sprich Selbstschutz aus ist. Lieber mehrere kurze ruhige Einheiten über den Tag verteilt, immer mit gleichbleibender konsequenter Freundlichkeit und einem guten Abschluss. Dies hilft, Vertrauen und Sicherheit aufzubauen, die er braucht, um zuhören zu können.
Wenn diese grundsätzlichen Dinge gut laufen, steht einer vielseitigen Karriere nichts mehr im Wege. Und wir haben einen Sportpartner, der sein ganzes Potential ausschöpfen kann. Da er nicht mehr seine ganze Kraft für den „Überlebenskampf“ aufbringen muss, sondern sich auf seinen Menschen verlassen kann. Und somit die ihm gestellten Aufgaben souverän erbringen kann.
Beispiel Zwei:
Fahrpferd 5j. Wallach, angeblicher Privatverkauf. (im Nachhinein stellte sich heraus, dass der Mann der Verkäuferin Händler ist) Nach vier Wochen bei der neuen Besitzerin treten erstmals Probleme auf. Das Pferd rempelt, wird körperlich und hat einen hohen Muskeltonus. Ist schreckhaft, reagiert fast panisch.
Ein Blick in seine Augen hat für mich große Klarheit gebracht! In seinem rechten Auge „baumeln“ riesige Traubenkörner, dazu hatte er keine klare Führung und Sicherheit durch seinen Menschen. Er ist ein eher rangniedriges Pferd, der froh ist, wenn er sich „anlehnen“ und aufatmen kann. Zusätzlichen Stress gab durch eine äußerst selbstbewusste und freche Shettydame, die ihn vom Futter vertreibt! Eine Ursache für seine Schreckhaftigkeit und panischen Reaktionen sind sicher die Traubenkörner in seinem rechten Auge. Riesengross und dadurch Sicht beeinträchtigend. Für das Fluchttier Pferd „worstecase“ Ist bei der AKU nicht aufgefallen. ( Beschreibung siehe weiter unten) Beim Ausprobieren war er ( mit Blendklappen) unauffällig und brav, geritten laut Vorbesitzer nicht. Im Umgang sehr brav und umgänglich.
Das neue Zuhause, wie ein Sechser im Lotto! Bei der Arbeit hat er sich aber leider immer wieder als sehr ängstlich, bisweilen panisch verhalten. Vor allem, wenn etwas „auf ihn kam“ und hauptsächlich von der rechten Seite. Durch die Schreckhaftigkeit und explosiven Ausbrüche hat die Besitzerin immer mehr Angst bekommen. Und Angst ist kein guter Begleiter! Verständnis, Timing und das richtige Gefühl für die Bedürfnisse beider haben uns hier weitergebracht. Nachdem die Besitzerin gesehen hat, was für ein lieber Junge ihr Pferd ist und nun lernt ihm die nötige Sicherheit zu geben, sieht sie ihr Pferd aus einem anderen Blickwinkel. Bekommt Vertrauen in ihn und er zu Ihr. Gibt ihm Sicherheit. Das Pferd blüht auf, da ihm zugehört wird und er verstanden und souverän geleitet wird.
Es wurden Wege, individuell auf diese Beiden abgestimmt, gesucht und gefunden. Spaß und tolle Aufgaben verbinden die beiden noch mehr!
(Traubenkörner (Granula iridica ) befinden sich im Pferdeauge am Rande der Pupille. Sie sehen aus wie kleine schwarze Punkte, die sich am oberen und unteren Rand der Pupille befinden. Bei jedem Pferd sehen Traubenkörner individuell ein kleinwenig anders aus. Es gibt sogar Unterschiede zwischen dem linken und rechten Auge, in deren Anzahl und deren Anordnung..Sie haben mehrere Funktionen. Eine davon ist, dass sie bei der Produktion von Kammerwasser beteiligt sind. Doch die für Menschen interessante Aufgabe ist, dass sie dem Pferd das Sehen bei grellem Licht leichter machen. Traubenkörner haben eine Art Schutzschildfunktion. Sie verhindern, dass bei grellem Licht zu viele Lichtstrahlen auf die Retina treffen. Besonders wichtig sind sie, wenn die Sonne im Sommer sehr hoch steht oder auch im Winter, die Sonne vom Schnee reflektiert wird.
Das Pferdeauge ist, evolutionstechnisch bedingt, besonders gut auf die Fernsicht angepasst. Nachvollziehbar für ursprüngliche Steppenbewohner. Dabei ist es notwendig auch bei starkem Lichteinfall gut sehen, zu können. Fällt das Licht parallel in das Auge (was für die Fernsicht benötigt wird), wird die Pupille von einem Muskel (M. sphinkter pupillae )zusammengezogen um weniger Licht einzulassen. Dieser Mechanismus wäre alleine zu wenig. Die Traubenkörner begrenzen die Pupillenöffnung zusätzlich. Traubenkörner können krankhaft verändert sein, etwa vergrößert oder sie lösen sich vom Pupillenrand ab und wandern durch die Pupille. Dieses kann Sehstörungen zur Folge haben, die eventuell nur auffallen, wenn das Licht im falschen Winkel ins Auge trifft. Natürlich können Pferde, auch wenn mit den Traubenkörnern alles in Ordnung ist, geblendet werden. )Quelle: Praxisorientierte :Anatomie und Propädeutik des Pferdes :Wissdorf;Gerhards;Huskamp;Deegen;Kap.3.6.1 )
Beispiel Drei:
Teilnehmerin eines Bodenarbeitskurses mit ihrem 12j. Quarter Mix. Die beiden sind sehr erfahren in Bodenarbeit, auch unter dem Sattel verhält das Pferd sich tadellos. Seit einiger Zeit merkte die junge Frau, dass ihr Pferd zwar brav, aber sehr lustlos, geradezu mechanisch die ihm gestellten Aufgaben absolviert. Gottseidank hat sie darauf geschaut, denn zu oft werden die Zeichen und Signale der Pferde nicht wahrgenommen. Das Pferd bis dahin viel im Bereich Horsemanship bzw. nach „Parelli“ gearbeitet worden. Dem psychischen Druck in diesen Systemen sind nicht alle Pferde gewachsen. Und vor allem ist es für Laien oft sehr schwierig zu erkennen, wann sie Druck rausnehmen müssen. Oftmals fallen diese Pferde in eine erlernte Hilflosigkeit. Erlernte Hilflosigkeit ist das Resultat, immer wieder nicht vermeidbaren, für sich unkontrollierbaren und wiederholt aversiven (negative Verstärkung) Reizen ausgesetzt zu sein. Dabei kommen die betroffenen Individuen zu der festen Überzeugung, für sie unangenehme oder schädliche Situationen nicht mehr vermeiden zu können, obwohl dies rein objektiv betrachtet möglich wäre. Geben sich auf. Funktionieren. Oft geht dem kompletten depressiven Rückzug meiner Erfahrung nach eine renitente Phase voraus. In der dieses Wesen noch einmal versucht sich bemerkbar zu machen. Auf sich aufmerksam macht das da einiges im Argen liegt. Manche bleiben in dieser, harten, aggressiven Haltung alles und jedem gegenüber. Manche schaffen es (mit Hilfe) aus diesem erlernten Kopfkäfig auszusteigen. Allen Wesen gemein ist, dass es Zeit braucht. Dass es Rückschläge gibt. Diese nicht bewertet werden sollten. Und nicht unterschätzt.
Der Begriff erlernte Hilflosigkeit wurde 1967 von dem amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman eingeführt und bezeichnet eine Verhaltensstörung, die von depressionsähnlichen Symptomen geprägt ist und dessen Prinzip ebenso auf den Menschen übertragbar ist. Seligman erforschte dieses Phänomen erstmals an Hunden, die durch elektrische Schocks gereizt wurden. Er konnte damit beweisen, dass Stress eine Ursache von Depressionen sein kann.
Anfangs war es nahezu unmöglich ihn zu motivieren. Alle ihm gestellten Aufgaben hat er mit grosser Artigkeit aber sehr traurig ausgeführt. Mutlos und resigniert.Nach einiger Zeit habe ich das Podest mit in die Arbeit eingebaut. Anfangs war es ihm schier unmöglich, auch nur einen Huf in Richtung desselben zu bewegen. Wir haben ihm alle Zeit der Welt gegeben, um die ihm gestellte Aufgabe zu analysieren und mit Eigenverantwortung zu lösen.Nach einiger Zeit fing er an, auszuprobieren (immer im geschützten Rahmen durch mich natürlich) und nach noch einiger Zeit hat er sich mit den Vorderfüssen auf das Podest gestellt. Was dann geschah, hat uns zu Tränen gerührt!
Sein in sich gekehrter Blick veränderte sich in einen staunenden. Über das geleistete! Er hat selbst die Lösung gefunden!
Zudem blickte er von Moment zu Moment stolzer und schöner! So wunderbar!
Heute sind die Beiden ein großartiges Team, immer in Kontakt miteinander. Füreinander da!
Drei Pferde, drei völlig verschiedene Lebensgeschichten. Alle auf ihre Art im „Kopfkäfig“ gefangen. Jeder braucht etwas anderes um sein ganzes Potenial auszuschöpfen und freudig mit seinem Menschen zusammenzuarbeiten.
Achtet auf Euch und lasst es Euch gutgehen. Das tue ich jetzt auch, gehe raus an die Sonne und genieße dieselbe.